Verkehrspolitik: Grundzüge

Verkehrspolitik: Grundzüge
Verkehrspolitik: Grundzüge
 
Verkehrspolitik ist eine spezielle Wirtschaftspolitik, die in Deutschland von den Kommunen, den Ländern, dem Bund und in zunehmendem Maße auch von der Europäischen Union getragen wird. Sie befasst sich mit dem Transport von Personen, Gütern, Nachrichten und den damit verbundenen Dienstleistungen. Das Interesse des Staates am Verkehrssystem liegt traditionell darin begründet, dass gut entwickelte Verkehrswege die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen und den kulturellen Austausch fördern; auch militärische Macht benötigt eine gute Verkehrsinfrastruktur. Ökonomisch werden staatliche Eingriffe in den Verkehrssektor damit erklärt, dass freier Wettbewerb nicht zu effizienten Ergebnissen führen würde: Aus strukturpolitischer Sicht würden beispielsweise bestimmte Regionen unterversorgt, weil traditionell der Nahverkehr in ländlichen Gebieten defizitär ist. Aus wettbewerbspolitischer Sicht sei Konkurrenz z. B. auf der Schiene ineffizient, weil die Bahn ein natürliches Monopol besitze. Aus sozialpolitischer Sicht müsse man die Transportpreise niedrig halten, die bei einem natürlichen Monopol generell zu hoch liegen und möglicherweise nicht bedarfsgerecht differenziert sind. Damit wird für den Verkehr ein Ausnahmebereich von den Regeln der Marktkoordination gefordert, der den Erkenntnissen der modernen Markttheorie nicht standhält.
 
 Verkehrsentwicklung in Deutschland
 
Grundsätzlich lassen sich zwei Formen staatlicher Einflussnahme unterscheiden: direkte Eingriffe in Form der Bereitstellung einer entsprechenden materiellen Verkehrsinfrastruktur (Straßen, Schienen, Wasserstraßen, Flughäfen) und indirekte Eingriffe, die durch die Regulierung des Markteintritts und Marktaustritts sowie der Preise umgesetzt werden.
 
Allgemein gilt für die Verkehrsinfrastruktur das föderative Prinzip: Der Bund ist für die interregionalen und nationalen Verkehrswege zuständig, Länder und Kommunen für die regionalen. So ist der Bund Eigentümer der Bundesautobahnen und Bundesstraßen, die Länder und Kommunen sind Eigentümer von Landes- und Kreisstraßen. Bau, Erhalt und Regelung der Nutzung von Wasserstraßen fallen in die Kompetenz des Bundes; doch beteiligen sich die Länder meist an deren Finanzierung, weil sie von den Wasserstraßen und Häfen Impulse für die regionale Wirtschaftsförderung erhoffen. Gleiches gilt für den Straßenbau. Die Zuständigkeit für die Schieneninfrastruktur der Deutschen Bahn AG liegt generell beim Bund, doch können Länder und Kommunen im Rahmen der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs Strecken eigenverantwortlich bedienen. Mit der am 1.1.1994 in Kraft getretenen Bahnreform wurde das Schienennetz für Wettbewerber geöffnet. Vor der Strukturreform war ausländischen Bahnen der Marktzutritt untersagt und inländischen Anbietern eine Mitbenutzung der Strecken ohne Genehmigung der Deutschen Bundesbahn nicht möglich. Der Güterkraftverkehr hatte sich seit 1945 zum stärksten Konkurrenten der Bahn entwickelt. Sowohl im Güterverkehr als auch im Personenverkehr verlor der Verkehrsträger Eisenbahn stetig Marktanteile. Zum Schutz der Bahn begrenzte der Gesetzgeber den Marktzutritt und regulierte die Preise im Straßenverkehr. Im Fernverkehr beispielsweise vergab er Konzessionen, die den Transport mittels Lkw erlaubten und nur zeitlich befristet galten. Da die Nachfrage nach den Konzessionen immer über deren Angebot lag, entwickelte sich ein florierender Handel mit diesen Genehmigungen. Zudem drängten die Spediteure in die Ballungsgebiete, weil dort aufgrund der Nachfragedichte die Gewinnchancen höher waren als in den Randgebieten. Der Bahn blieben so die weniger rentablen ländlichen Räume. Die Preise im Güterfernverkehr wurden an die Tarife der Bahn gebunden.
 
 Mehr Wettbewerb durch Deregulierung
 
In den 90er-Jahren wurde der deutsche Verkehrssektor weitgehend dereguliert. Für den Güterfernverkehr gilt seit 1994 die freie Preisbildung ohne jede Tarifüberwachung. Seit 1998 existieren innerhalb Deutschlands keine Kontingentierungen mehr, welche jährliche Höchstmengen des Lkw-Transports festlegten. Abgeschafft wurde im Güterfernverkehr wie im Schiffsverkehr auch der Kabotagevorbehalt (Ausschluss ausländischer Anbieter bei reinen Binnenverkehren). Die Bahnreform sieht zudem einen diskriminierungsfreien Zugang aller Eisenbahnunternehmen der EU zu allen Netzen vor (intramodaler Wettbewerb). Ökonomischer Hintergrund der Deregulierung ist, dass die Eigenschaft des natürlichen Monopols für die Bahn aus wettbewerbspolitischer Sicht nicht mehr akzeptiert wird. Natürliche Monopole entstehen dann, wenn z. B. der Aufbau eines Schienennetzes hohe Fixkosten verursacht. Wenn das Netz schließlich existiert, kann allerdings sehr wohl Wettbewerb stattfinden.
 
Obwohl Deregulierung den Verkehrssektor ökonomisch effizienter gestalten kann, bedroht das stetige Wachstum des Verkehrs langfristig das ökologische Gleichgewicht durch Schadstoffe und beeinträchtigt die Lebensqualität durch Lärmemission und Flächenverbrauch.

Universal-Lexikon. 2012.

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